Der Start unserer Paddelreise lief alles andere als Rund. Der Flussstand war super niedrig, oft nur wenige cm und es lagen viele große Steine im Fluss, an denen sich Stromschnellen bildeten. Selbst in einem Kajak ohne Gepäck wäre es schwer geworden nicht auf Grund zu laufen. Unser Frachtkahn ist ständig über Steine geschrammt und hängengeblieben. Jan war wenige Meter hinter uns und hatte ebenfalls Schwierigkeiten. Nach einer Flussbiegung teilte der Fluss sich in zwei Arme und die Strömung war plötzlich recht stark, wir fuhren links, aber waren nicht sicher, ob Jan das gesehen hatte. Nach der Abzweigung haben wir gewartet, doch keine Spur von Jan. Wir wollten unnötiges Warten verhindern, falls er andersherum gefahren ist und schon vor uns am Fluss ist. Also paddelten wir ein paar Minuten weiter, bis sich die beiden Flussarme wieder trafen. Die Strömung war an dem Abschnitt stark, es gab viel Wasser und steile Ufer sodass wir noch 200m weiter runter paddeln mussten, bis wir eine Stelle zum warten gefunden haben. Eine Stunde verging und Jan war nicht zu sehen, war er schon vor uns? Nein, er würde sicherlich warten. Was sollten wir tun? An den Ufern kann man nicht anlegen oder laufen und die Strömung in Kombination mit den vielen Steinen und kleinen Stromschnellen macht es unmöglich zurück zu paddeln. Als Deadline zum Paddeln haben wir uns 16Uhr als generelle Regel gesetzt, jetzt war es schon 17Uhr. In einer Stunde geht die Sonne unter und wir sollten nicht bei Nacht noch immer auf dem Fluss sein. Also sind wir mit schlechtem Gefühl im Magen weitergepaddelt, um einen Platz zu finden, an dem wir an Land gehen können und schlafen können. Gefunden haben wir nach wenigen Minuten die Anlegestelle eines Hauses. Umberto, der Hausbesitzer hat uns gesehen und eingeladen, in seinem alten Haus zu schlafen. Wir haben darin mit Mückennetzen und Isomatten einen Schlafplatz eingerichtet. Einer von uns hat stets am Fluss Ausschau nach Jan gehalten. Umberto ist zu den Nachbarhäusern gegangen und hat alle nach Jan gefragt, keiner hat ihn gesehen.


Am nächsten Tag bin ich morgens zum Dorf über etwas versteckte Waldwege mit Umberto und seiner Frau Sarah gegangen. Konstantin hat den Fluss beobachtet, damit Jan nicht unbemerkt vorbei paddelt. Im Dorf war gerade eine Versammlung und als ich unsere Lage schilderte, wurde ein Suchtrupp zusammengestellt. Nach wenigen Minuten fanden wir Jan gegenüber vom Dorf auf einer Sandbank. Es ging ihm gut. Sein Kajak hatte sich zwischen den Steinen verkantet und die Sachen oben drauf sind ins Wasser gefallen. Die Dorfbewohner haben einiges flussabwärts wieder eingefangen.
So verging Tag 1 und wir haben 2km zurückgelegt. Leider haben wir unser Benzin über Nach im Kanu gelassen, welches wir für unseren Mehrstoffkocher brauchen. Das war am Morgen weg. In der Flasche am Kocher hatten wir aber noch etwas und nach zwei Tagen konnten wir an einem Dorf Mittags neues Benzin kaufen.
Landschaftlich ist es traumhaft schön und auf dem etwa 10-30m breiten Fluss waren wir auch nah am Dschungel dran und haben täglich das Konzert der unzähligen Insekten gehört. Hinter einer Flusswendung haben wir ein Capybara, eine Art riesiges Meerschweinchen von der Größe eines Schwein überrascht.
Die folgenden Tage verliefen aber weiterhin holprig. Durch den extrem flachen Fluss mussten wir ständig aussteigen und schieben. Dazu kam, dass Konstantin sich bei der Cotopaxi Besteigung vor zwei Wochen den Zehnagel mies gestaucht hat und dieser nun abzufallen droht. Deswegen konnte er mit dem rechten Fuß nicht ständig ins Wasser steigen. Das erschwerte das Schieben zusätzlich. Würde der Zehnagel abfallen, hätte er ziemlich lange eine offene Stelle, die sich böse entzünden könnte. Das müssen wir auf jeden Fall vermeiden. Aber Stück für Stück wurde der Fluss etwas tiefer und Besserung war in Sicht.
Das Wetter war in der ersten Woche sehr wechselhaft und es hat täglich geregnet, wodurch die Füße im oben offenen Kanu ständig im Wasser standen und alles nass wurde und nur unvollständig am Tag trocknete. Die vielen Tucane, Aras und andere Papageien machten die Tage aber sehr schön. Jeden Morgen begleitete uns aufs Neue ein riesiger blauer Schmetterling, begrüßte uns und läutete den neuen Tag ein. Ich kann manchmal nicht ganz glauben, dass wir hier wirklich gerade mit einem Kanu unterwegs sind.
Nachts haben wir meistens im Wald oder an Stränden geschlafen.
An den Stränden zu schlafen ist ziemlich angenehm, da es nachts nur wenige Tiere gibt und wir am Strand auch direkt eine freie Fläche haben. Das Problem ist aber, dass wir nur ein Zweipersonenzelt haben. Das ist genial schnell aufgebaut, aber für Konstantin und mich sehr eng. In den Alpen geht das. Hier gehen wir im Schweiß absolut ein. Das ist nicht nur unangenehm, sondern reizt die Haut ziemlich stark und führte bei uns nach 3 Tage zu juckendem Ausschlag am Rücken.
Außerdem bekommen wir nachts an den Stränden in jeder Nacht Besuch von vorbeifahrenden Fischern. Wenn wir sie bemerken passiert nicht. In einer Nacht haben wir aber schon geschlafen und sind durch Stimmen und Taschenlampenlicht aufgewacht. Unmittelbar hinter uns standen einige Leute und haben die Taschen durchsucht, die wir am Zelt stehen hatten. Nach Rufen sind sie weggerannt, aber es war überall Chaos und wir haben ein Tarp und unser Laptopladekabel verloren. Unser Geld und den Laptop selbst haben sie auch gefunden, aber im Sand liegen lassen. Da hatten wir Glück in Unglück. Ohne Tarp als Regenschutz über der Hängematte müssen wir mit unserer Regenplane fürs Kanu improvisieren, was deutlich schmaler und weniger angenehm ist. Gehen tut es aber.

Im Dschungel haben wir Ruhe vor den menschlichen Besuchern, dafür kommen viele Tiere. Mücken sind im Wald zahlreicher, mal saß ein Skorpion auf unserem Medizindrybag und Schritte von vorbeilaufenden Tieren hören wir auch ständig. Die Geräuschkulisse ist auch sehr laut, doch da haben wir uns erstaunlich schnell dran gewöhnt. Konstantin und ich erinnern uns eigentlich nie an unsere Träume, doch hier sind wir im Traum weiterhin im Kanu und wachen beide regelmäßig auf, weil wir die Paddel suchen, etwas festbinden wollen oder den anderen etwas fragen müssen. Krass, wie real diese Träume sich anfühlen.

Die Arme, Schultern und der Rücken kommen mit der Belastung erstaunlich gut zurecht und wir haben keine großen Beschwerden. Probleme macht die Haut mit der ständigen Feuchtigkeit und dem Schweiß. Erst nach 4 Tagen haben wir angefangen mit der Karte aktiv Dörfer zu suchen, die unser Tagesziel markieren könnten. Ich kann nicht wirklich erklären, wieso wir das nich von Anfang an gemacht haben. Da war unser Hauptfokus überhaupt weiterzukommen und bis 16Uhr die Paddelzeit auszureizen. Unsere erste richtiges Dorferlebnis war in Tepapare, wo wir nachmittags angekommen sind. Die letzten Tage waren wir immer nur zur Mittagszeit kurz in Dörfer, um da zu kochen und uns zu unterhalten. Tepapare ist ein Dorf von Waorani Indigenen und die überwiegend Kichwa-Indigenen in den vorigen Dörfern haben stets schlecht über die Waorani gesprochen. Generell wurden wir oft jeweils vor dem nächsten Dorf gewarnt, dort angekommen waren aber alle Menschen super freundlich und offen. Hier ist es schwer einzuschätzen, wie wir die Information von den Dorfbewohnern über folgende Dörfer bewerten sollen. In Tepapare durften wir in der Schule unsere Hängematten aufspannen und in der Gemeinschaftsküche kochen. Das war viel angenehmer als im Dschungel oder an den Stränden. Die Menschen waren auch super lieb und wir konnten etwas Fisch kaufen. Absolut genial war ein kleiner, klarer Bach, der uns gezeigt wurde. Dort haben wir uns richtig erfrischend waschen können.

Der Fluss hat sich täglich verändert. Am Anfang sehr schmal mit vielen Steinen und schneller Strömung, aber eher Gestrüpp direkt am Fluss. Dann gab es Abschnitte, an denen wir wie durch einen Tunnel zwischen hohen Bäumen gepaddelt sind. Oft mit wenig Wasser und Steinen oder Sandbänken. Nach 5 Tagen hatte der Fluss genug Wasser, um nur noch ein paar Mal am Tag zum Schieben aussteigen zu müssen und wir haben immer häufiger Boote gesehen. Bald muss tief genug werden, um immer paddeln zu können! Jetzt waren nichtmehr die Steine unsere Hürde, sondern unzählige umgestürzte Bäume, denen wir ausweichen mussten. Oft waren massive Äste nur ganz knapp unter der Wasseroberfläche und wir mussten immer aufmerksam sein, um nicht an einem der Stämme zu kentern.

Der Fluss unterspült die Ufer massiv und entwurzelt dadurch die Bäume, die dann in den Fluss stürzen. Ein paar Mal haben wir das auch selbst direkt vor uns gesehen und halten deshalb immer ausreichend Abstand vom Ufer.
Vor einigen Tagen hat uns José, der uns morgens am Strand getroffen hat eine Karte von den Dörfern am Rio Nushino gezeichnet. Die vergleichen wir mit unseren GPS Karten und navigieren so entlang des Flusses. Hier wird wenig in km, sondern eher in Flussbiegungen gemessen. So wird uns oft auf Fragen nach „Wie weit ist X“ geantwortet: „Noch Y Flussbiegungen“. Die km Angaben auf der Karte haben mit dem Faktor 2 ziemlich gut gestimmt. Wichtig zu wissen war auch, dass wir ab dem Dorf Gomatao nichtmehr links des Flusses an Land gehen dürfen. Dort ist das Gebiet der Tagaeri-Indigenen. Ein sogenannter „unkontaktierter Stamm“, der für sich isoliert im Wald lebt und keinen Austausch mit der restlichen Welt wünscht. Von Dorfbewohnern haben wir viele Geschichten von Morden der Tagaeri an Verwandten oder Bekannten gehört. Oft sind diese als Holzfäller oder Missionare in deren Gebiete eingedrungen und die Tagaeri haben sich mit Speeren gewehrt. Genauso dringen Petroleum-Unternehmen in ihr Gebiet ein, um Fördertürme zu bauen. Wir halten uns auf jeden Fall an die Regel und bleiben immer rechts am Fluss. Oft haben wir uns gefragt, ob die Tagaeri uns wohl aus dem Dschungel beobachten.

Nach einer Woche am Nushiño haben wir unser erstes kleines Zwischenziel erreicht. Die Mündung des Nushiño in den Rio Curaray. Es war auch der erste Tag, an dem wir unser vor der Reise angepeiltes Ziel von 50km am Zag Paddeln erreicht haben und wir mussten nur 1 Mal aussteigen, um das Kanu über einen Baumstamm zu schieben. Das Vorankommen wird deutlich besser. Abends sind wir in dem größeren Dorf San José an Land gegangen. Der Zahnarzt Mario aus Guayaquil hat uns bei sich und seiner Frau aufgenommen und wir konnten im Essenshaus der Familie unsere Hängematten aufspannen. Es gab abends sogar eine warme Mahlzeit für uns.
Die nächsten zwei Tage haben wir Pause gemacht. Hier gibt es gut ausgebildete Ärzte und wir haben unsere Mückenstiche checken lassen. Konstantins Zehnagel war inzwischen fast ab und wurde gezogen. Zum Glück war die Haut darunter schon wieder gebildet und das Infektionsrisiko ist überschaubar. Außerdem haben wir alles gewaschen, neu geordnet und geputzt.

Dabei ist uns ein Riss im Kanu aufgefallen. Dieser war nur innen, aber recht tief und musste geflickt werden. Mit unserem Kocher, einem Schraubenzieher und etwas Ersatzmaterial konnten wir das Boot flicken. Den Schraubenzieher haben wir im Kocher erhitzt und dann mit dem heißen Schraubenzieher das Plastikmaterial zugeschmolzen. Sieht aus wie neu, top.